VERNAWAHLSHAUSEN, 
DIE GRÖSSTE RASENBLEICHE HESSENS 

Von Karl Simon

In den waldreichen Gegenden unserer Heimat waren schon immer die Klein- und Mittelbetriebe in der Landwirtschaft vorherrschend. Von dem damals geringen Ertrage seiner Landwirtschaft konnte der Landmann nicht leben und war auf  Nebenerwerb angewiesen. Für viele war die Bearbeitung des Flachses das Gegebene. War doch das Leinengewerbe neben der Bearbeitung der Wolle das älteste Gewerbe unserer Vorfahren. Sie verarbeiteten zu Leinwand, was sie in ihrer Wirtschaft an Flachs ernteten. Anfangs wurde der nicht für den Eigenverbrauch benötigte Flachs in den Städten durch Berufsweber verarbeitet. Später trat dann die Weberei immer mehr als Nebenerwerb der Landbevölkerung hervor.

Schon vom 13. bis 15. Jahrhundert wurde deutsches Leinen ausgeführt, weil es neben seiner vorzüglichen Qualität billig war. Das war nur möglich, weil diese Arbeit mit dem Leinen neben der Tagesarbeit und in den Abendstunden geleistet wurde. Im Jahre 1696 wurde über Bremen, dem Umschlagplatz für Leinen, für eine Million Taler Leinen hauptsächlich nach England, Holland, Spanien und später nach Amerika ausgeführt.

Von den verschiedenen Sorten des Leinens wurde in einigen Orten unseres Kreises das Schockleinen (knapp einen Meter breit, in Amerika "Hessian" genannt) hergestellt. In den Orten Hofgeismar, Grebenstein, Liebenau, Trendelburg, Helmarshausen, Niedermeiler, Zwergen, Ostheim Lamerden, Eberschütz, Hümme, Sielen und Deisel wurde die Stiegenleinwand, auch Haus- oder Hemdenleinen genannt, für den Handel gewebt. In den Weserorten und einigen Orten Südhannovers wurde das Heede- oder Leggeleinen gewebt, das teils zu Salzsäcken verwendet wurde, teils in den überseeischen Handel kam und dort reißenden Absatz fand. Die vorgenannten Sorten wurden für den Eigenverbrauch in fast allen Orten gewebt.

Die große Bedeutung der Leinenverarbeitung für das damalige Wirtschaftsleben ist schon daraus zu ersehen, dass die Regierungen u.a. in Hessen und Hannover sich um den A n b a u d e s F 1 a c h s e s ("Anweisung der hannov. Regierung über beste Art des Anbaues und Belohnung für besonders gute Erzeugnisse, die neben feiner Faser auch brauchbaren Leinsamen ergeben".), die A u s b i 1 d u n g d e r W e b e r (Einrichtung von Musterwebereien für Damastweben auf Jacquardstühlen, Vorschrift über die Ausbildung der Weberlehrlinge der hessischen Regierung), den V e r k a u f d e s L e i n e n s (Einrichtung der Leggen in Hessen und Hannover und die hessische Leinenordnung von 1829) und d i e B 1 e i c h e r e i (Einrichtung der staatlichen Musterbleiche in Sohlingen bei Uslar und Bestellung von Kommissaren, die das Bleichen beaufsichtigten, damit beim "Buiken" oder "Büken" keine Kreide und kein Kalk, sondern nur reine Buchenasche verwendet wurden) kümmerten.

In Vernawahlshausen, damals und auch heute noch Wahlshausen genannt, war damals fast in jedem Hause mindestens ein Webstuhl. Noch 1920 gab es im Orte 22, zwar abgebaute, aber noch voll erhaltene Webstühle. Im ersten Weltkriege ist hier mancher Webstuhl wieder in Gang gebracht worden. Nach dem Kriege webten noch Anton Wißmann (Antons), Hermann Fricke (Leuthfreuderichs), Karl Jäger (Hannsönegens), Martin Wißmann (Sommers), Georg Henne (Scholreukes), Johannes Henne (Winkel), Eduard Wickmann (Steingräber) und Karl Henne (Lohmanns Karl). Letzterer war auch der letzte Weber unseres Dorfes.

Das vom Weber hergestellte Leinen musste noch gebleicht werden, ehe es zu Hemden, Bezügen, Handtüchern usw. verarbeitet wurde. Das graue Rohleinen wurde vier- bis fünfmal in mit Pottasche vermischtem heißem Wasser aufgeweicht, kam dann vier Wochen auf den Bleichrasen, wo es täglich mit Wasser begossen wurde. August D e p p e ("Flachs und Leinen", Bücher der Spinnstube, Göttingen 1925) beschreibt die Wirkung des Bleichens so: "Der chemische Vorgang verläuft in der Weise, dass sich unter Einwirkung von Licht, Luft und Wasser Ozon oder nach neuerer Auffassung Wasserstoffsuperoxid bildet, wodurch die farbigen Verunreinigungen oder auch der Naturfarbstoff der Faser zerstört werden."

Jedes Dorf hatte damals seinen Gemeindebleichplatz zur allgemeinen Benutzung. Daneben hatten noch in vielen Gegenden Hessens (z.B. in Werkel bei Fritzlar) die meisten Bauern eine Bleichwiese (einen Wiesenstreifen bis zu einem 
Morgen) an dem vorbeifließendem Flüsschen. Jeder bleichte sein Leinen selbst. Als aber die Leinenweberei einen immer größeren Umfang annahm (Landau schreibt 1842: "Diese Gegenden -u.a. auch die vorher genannten Orte im Kreis Hofgeismar- gleichen zum Teil einer großen Fabrik"), musste man auch größte Sorgfalt auf das Bleichen legen und musste Rasenflächen mit viel kalkfreiem, auch nach starken Regengüssen klarem Wasser zur Verfügung haben. An vielen Orten fehlte es daran. So kam es, dass viele ihr Leinen nicht mehr selbst bleichten, sondern es in solche Ortschaften brachten, die eben diese Voraussetzungen für eine gute Rasenbleiche hatten. Zu diesen Orten gehörten in unserem Kreise Grebenstein, Niedermeiser und Vernawahlshausen. Welche Bedeutung das Wasser für das Bleichen hatte, ist aus folgenden Angaben zu ersehen. Der Chronist, der 1784 die Dorfbeschreibung von Vernawahlshausen beendet hat, berichtet über das Bleichen: "Den Vorzug, den hiesiger Ort hat, rührte nicht sowohl von dem Fleiß und treuen Wartung, als hauptsächlich von dem guten Wasser her, sodass von ökonomischer Beurteilung dieses Linnen vor andern, so in der ganzen Gegend gebleichet wird, nicht nur an Güte und Weiße als auch der Schwere desselben viel besser zu halten ist."

Und in den Berichten des Uslarer Leggeinspektors Reichardt 1827 wird betont, dass die Bleichen im Amt Uslar trotz Anstrengungen des Amtsmannes und der Leggemeisterei nicht auf die Höhe der Bielefelder Bleiche zu bringen seien. Er schlägt die Errichtung einer staatlichen Bleiche in Sohlingen vor, da dort neben den vorzüglichen Wiesen und dem notwendigen Holz zur Gewinnung der Pottasche das immer klare und weiche Wasser vorhanden sei. Und die Sohlinger Musterbleiche wurde der schärfste Konkurrent der Bielefelder Bleicher, sodass die Bielefelder Windelsbleiche später die Sohlinger Musterbleiche aufkaufte und sie stilllegte. Die Sohlinger Musterbleiche hat viel zur Verbesserung des gesamten Bleichens getan. Ihre Bleichmeister waren z.T. in Böhmen und Schlesien (Hauptsitze der Leinenindustrie) ausgebildet; von ihnen haben die Privatbleicher gelernt.

Die größte Rasenbleiche Hessens war in Vernawahlshausen. Hier wurden 1787 20-24000 Steigen Leinen, 1843 35-40000 Steigen und 1850 fast 50000 Steigen gebleicht. Fast 2/3 der Einwohner betrieben das Bleichen, und durchweg wurden von den meisten Familien 300-500 Steigen, von einigen bis 800 Steigen, gebleicht. Eine hessische Elle war 57 an lang (Reduktionstabelle u. nach A.u.W. Eckhardt "Hessische Ortsbeschreibungen"); eine Steige hatte 20 Ellen, war also 11,40 m lang. Die 1850 gebleichten 50000 Steigen hatten aneinander gelegt eine Länge von 570 km, das wäre eine Strecke von Kassel bis Konstanz oder von Trendelburg bis Basel. Das wird vielen Lesern nicht glaubhaft erscheinen. Zu einem Aufzug - 25000 Steigen á 60 an breit, dicht aneinander gelegt - benötigt man eine Bleichfläche von 68 Morgen. Die hiesige Bleichfläche auf den Oberen- und Unteren-Wiesen und am Siegbach war 115 Morgen groß.

Die Bleichfläche begann auf der Oberen-Wiese am Leischenlaken neben den Quellen bei Willi Henne's (Salomons) Wiese und zog sich bis zu den Adamswiesen (unterhalb der Weide von August Lange) auf den Unteren Wiesen. Dazu kamen die Wiesen am Siegbach. Das klare und weiche Bleichwasser kam aus den Quellen an Leischenlaken, aus der Quelle, die bei Karl Jägers Garten an Bahnhofsweg in Rohre gelegt ist und hinter dem Haus von Wilhelm Henne in den großen Abzugsgraben auf den Unteren-Wiesen fließt. Die stärkste Quelle war der Gaßborn, dessen Wasser neben dem Schuttabladeplatz aus einem Rohr in den Graben fließt. Beim oberen Bahnbau (1872) ist das Quellgebiet beider Quellen von den Erdmassen des Bahndammes zugeschüttet worden. Das Wasser aus den Quellen am Leischlaken floss in einen Graben, der am heutigen Unteren-Wiesenweg entlangzog und am Königswinkel durch die Pastorwiese (heute von Stellmachermeister Fricke gepachtet) zur Schwülme führte. Von diesem Hauptgraben führten im Abstand von 10 m etwa 75 cm breite Seitengräben zur Schwülme. So war die Bleichfläche in lauter schmale Quartiere eingeteilt. Ähnlich war auch die Wasserführung auf den Unteren-Wiesen aus den Quellen bei Jägers Garten und vom Gaßbom und am Siegbach.

Zu jeder Bleiche gehörte die Buikestie (stie von Stelle). Das ist der Platz, auf dem das Leinen gebuikt wurde. Hier stand das Wachthaus. Es war leicht gezimmert, 3x3 m groß, hatte dicke Strohwände und ein Strohdach. Darinnen standen meistens zwei große gemauerte Kessel, wie man sie früher überall hatte, ehe die so genannten "Manteltöpfe" aufkamen, eine Bettstelle mit einem Strohsack für die Nachtwache und die noch zum Bleichen notwendigen Gerätschaften: Buikestünze, Leggeschaufeln, Pflöcke, Tragbahre usw. 

Die Buikestünze (Waschfässer aus Eichenholz) waren ungefähr 80 an hoch und hatten einen Durchmesser von 1-1 1/2 m. Die Leggeschaufel - auch Snicke genannt - aus Pappelholz war 1,40 m lang, der Stiel 80 cm und die Schaufel 60 an, 12 an breit und 7-8 cm tief. Die Tragbahre bestand aus zwei flach gebogenen Holmen mit ausgearbeiteten Griffen (wie bei einer Schiebekarre) und eingelassenen flachen Sprossen und war aus Pappelholz hergestellt. Die Pflöcke waren 30-40 an lang, oben mit einem natürlichen Asthaken oder mit einem Querstück versehen. Sie waren aus Eichenholz. Wenn im Frühjahr die Bestellung der Felder erfolgt war, begannen die Bleicher im April mit der Instandsetzung der Bleiche. Die Wachthäuser wurden nachgesehen und, wenn nötig, die beschädigten Strohwände und Dächer durch neue ersetzt. Die großen Wassergräben waren oft eingerutscht und mussten sorgfältig hergerichtet werden. Aus den Seitengräben, die ja mit Gras bewachsen waren, mussten die Maulwurfshaufen entfernt werden. Beschädigte Pflöcke wurden ersetzt.
oben: links Leggeschaufel, rechts Pflöcke
unten: Tragbahre

Ende April kamen die ersten Sendungen Rohleinen aus der Umgebung, aus Göttingen, Einbeck, Kassel und Köln an. Die Sendungen aus Kassel kamen meistens mit dem Schiff bis Lippoldsberg und wurden dort von Vernawahlshäuser Fuhrleuten abgeholt. Der Organisator der Fuhren war Wilhelm Henne-Vetter (heute H. Schormanns Haus am Höpperpaul). Er verteilte die Fuhren an die Leinenfuhrleute: seinen Bruder Heinrich Henne (heute Hermann Henne in der Straße), Karl Henne (Liethkarls), Johann-Friedrich Fricke (Leuthfreuderichs), Eduard Jäger (Hannsönegens). Sie besorgten auch das Wegbringen des Leinens. Arme Leute haben das Leinen mit der Schiebkarre nach Einbeck oder Helmarshausen gebracht, um sich ein paar Silbergroschen zu verdienen. Für solch eine Schiebkarrenfuhre nach Helmarshausen bekamen sie im Jahre 1848, als der Scheffel Roggen vier Thaler kostete, eine "Rurice" Brot (3-4 Finger dicke Scheibe). Das Rohleinen hatte verschiedene Breiten, meistens war es 80 cm breit und fünf Steigen (57 m) lang, einzelne Bahren waren auch sieben Steigen lang (79,80 m). An die vier Ecken jeder Bahn nähten die Frauen je eine Schlaufe. Nun wurde das Leinen auf der Schiebekarre zur Buikestie gefahren. Das Wasser in den großen Kesseln kochte schon. Das Rohleinen legte man in die großen Buikestünze, breitete das Buikelaken (Leinentuch) darüber, schüttete auf dieses Laken Buchenholzasche und goss dann das kochende Wasser darüber.

Nun ließ man das Leinen in der Aschenlauge mehrere Stunden ziehen. Dabei wurde die Pottasche aus der Asche aufgelöst, zog mit dem Wasser in das Leinen. Die Pottasche löste den Schmutz auf und bildete mit ihm eine Verbindung, die nachher beim Leggen durch das Wasser aufgelöst wurde (Pottasche wurde später durch Soda ersetzt. Diese Bearbeitung des Rohleinens mit Buchenasche nannte man das Buiken (von Buche = Buiken).Setzte man der Asche Kalk zu, so wurde die Lauge ätzend gemacht. Sie löste dann den Schmutz schneller auf, zerfraß aber die Faser. Die eingesetzten Kommissare hatten streng darüber zu wachen, dass keine Kreide oder kein Kalk beim Buiken benutzt wurden.Damals wurde in Vernawahlshausen sämtliche Buchenasche während des ganzen Jahres gesammelt und trocken aufbewahrt, damit sie nicht auslaugte. Mangelte es einmal an Asche, dann gingen die Frauen mit der Kiepe und Säcken in die umliegenden Dörfer und kauften dort Asche, oder man bezog die fertige Pottasche von den Pottasche-Siedereien im Solling (1791 gabes 17, 1832 waren es 43), deren Ascheaufkäufer die Asche überall in den Dörfern des Sollings aufkauften und in großen Planwagen zu den Siedereien brachten.Mit der Tragbahre brachte man das gebuikte Leinen zur Bleichestelle und zog es auf. Die Bahnen wurden straff gezogen und durch die Schlaufen die Pflöcke in den Boden geschlagen (der Haken an dem Pflock verhinderte das überschlagen der Bahnen bei Wind). So wurde Stück für Stück gebuikt und aufgezogen.Nun musste das Leinen ungefähr acht Tage an der Erde liegen. Dreimal am Tage, an heißen Tagen mehrere Male, wurde es geleggt. Es durfte nie trocken werden, sonst brannte die Lauge fest. Mit der schon erwähnten Leggeschaufel (Snicke) schöpfte der Bleicher das Wasser aus dem Seitengraben, schüttete es in großen Bögen über die Leinenbahnen eines Quartiers, die eine Hälfte aus dem linken, die andere aus dem rechten Graben. Der alte "Appelfricke" (Vater von Stefan Fricke) erzählte 1921, dass er als Schuljunge jeden Morgen vor der Schule, die damals um sieben Uhr begann, mittags und nachmittags im Sieg hat leggen müssen. Nach und nach waren so am Ende der ersten Maiwoche die Quartiere mit Leinen belegt. Nun gab es keine Ruhe mehr für die Bleicher und ihre Familien. Kaum war man mit dem ersten Auslegen fertig, so musste wieder mit dem zweiten Buiken begonnen werden. Dann knieten die Frauen und Mädchen vor den langen Bahnen, fassten in 40 an Entfernung vom Anfang rechts und links das Leinen, zogen dieses Stück über den Anfang, dann wieder 40 cm und so weiter, bis die ganze Bahn in Wellenform übereinander lag. Nun wurde es zur Buikestie gebracht und gebuikt. Im Abstand von acht Tagen wurde jedes Stück viermal gebuikt. Zwischendurch musste geleggt werden. So war der Tag der Bleicherfamilie voll ausgefüllt.Sobald es dunkel wurde, gingen die Bleicher mit den Wachthunden zur Nachtwache auf die Bleiche. Es ist oft vorgekommen, dass versucht worden ist, von den Randbleichern Leinen zu stehlen. Wo es ging, wechselte man sich bei der Nachtwache ab. Manchem soll bei der Nachtwache ein Schabernack gespielt worden sein. Nach vier bis fünf Wochen war das Leinen weiß. An trockenen Tagen wurde es abgezogen. Die Schlaufen wurden abgetrennt, es wurde ordentlich in die Länge gezogen, gemangelt, aufgerollt und in Säcke eingenäht. Vor allen Dingen musste es in die Länge gezogen werden, damit die richtige Länge wieder abgeliefert wurde. Vom Händler aufgekauftes Leinen musste damals den amtlichen Leggestempel tragen (amtliche Leggemeister, denen sämtliches verkaufte Leinen zum Nachmessen und zur Gütebewertung vorgelegt werden musste, gab es damals in Karlshafen und Uslar.

Am 24. Juni waren die Wiesen frei; der erste Aufzug war beendet, die Fuhrleute brachten das Leinen weg. Nun begann die Heuernte. Der zweite Aufzug begann Anfang August und dauerte bis Ende September, danach wurde Grumt gemacht. Ihre größte Blütezeit hatte die Bleiche um 1850. Dann begann der Niedergang. Die Baumwolle trat immer mehr an Stelle des Leinens; die Handweberei wurde durch den mechanischen Webstuhl verdrängt. Die großen Bleichen arbeiteten mit chemischen Bleichmitteln. Es wurde zuletzt nur noch Leinen für den eigenen Verbrauch gebleicht. Die letzten Berufsbleicher waren Ludwig Fricke und Christoph Nolte.

Die Bleicherei war für die Wirtschaft Vernawahlshausens von großer Bedeutung. Um 1787 wurden für 100 Steigen 7-8 Reichsthaler Bleichlohn gezahlt. Das waren für die damaligen 25000 Steigen 1750-2000 Reichsthaler. Dazu kam noch der Fuhrlohn mit ungefähr 200 Reichsthalern (nach den Angaben des Amtmanns Scriba in Uslar). Im Jahre 1841 betrug der Bleichlohn für 100 Steigen 12-16 Reichsthaler; das ergab für 40000 Steigen 4800-6400 Thaler. Für die Landwirtschaft war das Bleichen von Nachteil. Auf den Bleichwiesen wuchs wenig und kein nahrhaftes Futter; das Gras war sauer. Das gesamte Stroh musste verfüttert werden. Man war gezwungen, Streuzeug (Laub, Farnkraut usw.) aus dem Walde zu holen. Da die Wiesen versumpften, versuchte man 1882 eine gemeinsame Entwässerung durchzuführen, die aber erst später ausgeführt werden konnte. War durch die Entwicklung der Industrie ein lohnender Nebenerwerb verloren gegangen, so fanden die Männer jetzt in der Industrie Arbeitsplätze. In Allershausen bei Uslar entstand eine Zuckerfabrik (heute Sollinger Holzwarenfabrik-Ilsewerk), die zur Zeit der "Kampagne" vielen kleinen Bauern einen Verdienst gab. In Bodenfelde wurde die Chemische Fabrik (heute HIAG) gegründet.

Anzeiger im Weserland, Nr. 13,
Februar 1925

In Volpriehausen wurden ein Kalischacht angelegt und eine Brikettfabrik. Die 1872 gebaute Bahnlinie Ottbergen bis Northeim brachte die Arbeiter zu diesen Arbeitsstätten.

Da auch das Baugewerbe einen starken Aufschwung erlebte, wechselten viele die Berufe. An die Stelle der Leinweber, Bleicher, Schmiede traten jetzt die Maurer und Zimmerleute und die Fabrikarbeiter. So passte der Mensch sich immer den wirtschaftlichen Verhältnissen an.

 

aus: Heimatjahrbuch für den Kreis Hofgeismar 1962
S. 84 - 87
(Karl Siemon war Lehrer in Vernawahlshausen)